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Die Hure Trixie und das dokumentarische Fernsehen Post2PDF

Von Jörg Adolph

„Die Hure Trixie“ steht als Überschrift am oberen Bildrand. Wir schauen N24. Auf dem unteren Textband laufen die neuesten Nachrichten und Börsenmeldungen durchs Bild und oben steht tatsächlich die ganze Zeit: „Die Hure Trixie – Die schwangere Hure Trixie und der Telefonsex.“ Also für den recht wahrscheinlichen Fall, dass man gerade vergessen hat, welchen Sender man guckt, was genau da zu sehen ist oder generell die Orientierung verloren hat, kann man oben jederzeit nachlesen, dass dies Trixie, eine schwangere Hure im Telefonsexgewerbe auf N24 ist. Der Bindestrich, der vom Untertitel überleitet, zeigt an, dass wir es mit einer Fortsetzungsgeschichte zu tun haben - Es gibt wohl mehrere Episoden mit Trixie, mal mit, mal ohne Telefonsex.

Bei N24 steht nun aber in der Programmauskunft zur Sendung keineswegs serieller TV-Groschenroman, sondern Reportage XXL:
“45 Minuten lang Spannung, Action und Hintergründe zu einem speziellen Thema – unterhaltend, informativ und umfassend recherchiert. Die N24 Reportage XXL blickt hinter die Kulissen der Gesellschaft und erzählt außergewöhnliche Geschichten aus aller Welt. Die Reporter beleuchten die ganze Story – alle Aspekte zu Ereignissen, Phänomenen und Menschen. Die XXL-Reportage lässt nichts aus.“

Bis auf dieses modische XXL und das anbiedernde LÄSST NICHTS AUS, beinhaltet dieser Text - exakt wie er da steht - das herrschende dokumentarische Esperanto, wie es von Filmemachern, Redakteuren und Kritikern heute in aller Welt gesprochen wird: Eine universelle Sprache, mit der auch jede Arte-Doku konzipiert und beworben wird. Und weil das so ist, ist Trixie nicht einfach ein besonders merkwürdiger Fall unserer medialen Realität, sondern eine Wegmarke für die Entwicklung des dokumentarischen Fernsehens. Überall ist Trixie-TV: Immer muss es unterhaltend, informativ und umfassend recherchiert sein. Wir blicken ständig hinter die Kulissen und bekommen selbstverständlich außergewöhnliche Geschichten aus aller Welt serviert. Die ganze Story! Das ist die TV-Mindesterwartung. Darunter schalten wir den Fernseher erst gar nicht ein. Jetzt muss das nur noch mit Inhalt gefüllt, im Detail hergestellt und in einen konkreten Film umgesetzt werden. Wie das geht? Schauen wir einfach bei Trixie nach.

1. Die Hure Trixie und die unglaubliche Redundanz

Trixie kommt gerade von einer Ultraschalluntersuchung. Der Arzt hat ihr bestätigt: Mutter und Kind sind wohlauf. Trixie hält sich den runden Bauch und geht mit schweren Schritten den Krankenhausflur entlang. Trotz Schwangerschaft benutzt sie nicht den Fahrstuhl, sondern wir sehen sie im grünlich beleuchteten Treppenhaus wieder. Sie müht sich die Stufen hinunter, kommt kaum an der Kamera vorbei, so fortgeschritten ist die Schwangerschaft bereits. Und man kann aus ihrem Gesichtsausdruck nicht so recht erkennen, ob sie Schmerzen hat oder sich kurz vor einem Heulkrampf befindet. Die Kamera schwenkt ihr hinterher, bis Trixie am Treppenabsatz zusammenbricht und weint. Die Kamera nähert sich ihr, während ihr Schluchzen lauter wird. Dann blickt Trixie in die Kamera und entschuldigt sich: Denn ausgerechnet jetzt, wo sie doch eigentlich glücklich sein sollte, weil sie wieder ein Kind bekommt, hat sie ihr Freund sitzengelassen. Die Kamera scheint Verständnis zu haben und entfernt sich ein paar Meter. Traurige Musik setzt ein und ein Kommentar erklärt, dass Trixie sich nichts sehnlicher gewünscht hat, als eine heile Familie, nun aber, obwohl sie die Männer zumindest beruflich recht gut kennt, wieder auf den Falschen reingefallen ist. Schnitt.

Ein unwirtliches Treppenhaus, eine zusammengekauerte Schwangere auf den kalten Stufen, Tränen, Einsamkeit. Die ganz großen Emotionen. Zudem steht die Kamera perfekt und bewegt sich genau im richtigen Moment. Das hat man bei „Verbotene Liebe“ schon schlechter gesehen. Doch das hier soll dokumentarisch sein. Und weil die Macher von Trixie ahnen, dass das alles ein bisschen zu schön, zu deutlich und zu kitschig sein könnte - selbst für ein XXL-Format - spricht Trixie, wie es im Reality-TV üblich ist, direkt in die Kamera. Damit macht sie nicht nur das Filmteam, sondern vor allem die Zuschauer zu Verbündeten. Der vorgetäuschte Duktus der „szenischen Beobachtung“ wird unterbrochen, zugunsten einer medialen Selbstbehauptung. Jetzt spricht Trixie. Sie erläutert ihr Innenleben und zwar ohne, dass ein Reporter fragen müsste: „Wie fühlst Du Dich jetzt?“ Sie weiß einfach, was von ihr erwartet wird. Das macht man so im Fernsehen. Einfach schwanger zusammenbrechen und weinen geht nicht. Das muss gleich und mehrfach erklärt werden. So findet Trixie die passenden Worte, indem sie kurzerhand die Handlung der letzten Folge zusammenfasst. Das reicht natürlich noch nicht an Erklärung und Dramatisierung. Es müssen noch ein paar Redundanz-Schleifen mehr gelegt werden. Also doppelt die Musik die Gefühle und verdreifacht der Kommentar die Information der Szene.

Das alles wäre komisch, wenn nicht eben diese Stilmittel mittlerweile fast jedes dokumentarische Format prägen. Eine Mischung aus inszenierter Szene, gespielten Emotionen, verstecktem Interview, Musikbrei und überdeutlichen Kommentar ist längst der dokumentarische Normalfall. Vielleicht wird das auf Arte eine Spur dezenter hergestellt oder ein wenig besser versteckt. Von der Machart bleibt es sich fast immer gleich.

2. Die Hure Trixie und das bisschen Realität

Sitzengelassen und mit Kind im Bauch, muss Trixie sich nun etwas einfallen lassen, um ihren Lebensstandard zu halten. Mit Blick auf den Sendungstitel im oberen Bildrand ahnen wir es bereits: Die Lösung ihrer Probleme hat etwas mit Telefonsex zu tun. Trixie verabredet sich mit ihrer besten Freundin in einem Lokal und erzählt von ihren Sorgen: „Früher habe ich 1000 Euro die Nacht verdient und jetzt droht mir Hartz IV.“ Aber sie hat schon eine Idee, wie sie was dazu verdienen kann… „Dachte ich es mir doch, dass Du was im Schilde führst,“ antwortet ihre Freunde, „sonst hättest Du mich doch nicht hier her bestellt.“ Es folgt ein Interview mit der Freundin in deren Wohnzimmer, bei dem sie bestätigt, was der Zuschauer sich längst denken soll. Nämlich, dass Trixie eine starke, eigenständige Frau ist, die sich niemals unterkriegen lässt, auch wenn der Mann weg ist und das Kind beinah auf der Welt. Eine Frau geht ihren Weg und wenn es dafür eben Telefonsex sein muss, dann muss das wohl so sein. Schnitt zurück ins Lokal, wo zur Feier des Tages Sekt kredenzt wird. Die beiden Frauen freuen sich über die gute Idee und dass man auch als Schwangere noch ganz gut Geld verdienen kann.

Sicherlich glaubt man keine Sekunde, dass die Freundin nicht schon längst über Trixies Pläne Bescheid weiß. Ganz offensichtlich ist das Gespräch gestellt und die beiden sollen für die Kamera bitte schön so tun, als würden sie zum ersten Mal die neue Arbeitsmöglichkeit erwägen. Dabei nimmt die „beste Freundin“ vermittelnd die Haltung eines skeptischen Zuschauers ein und steht dem Telefonsex-Thema erst ein wenig zweifelnd gegenüber, nimmt dann aber gerne die pragmatische Lösung an. Die große Künstlichkeit des Gesprächs wird unterbrochen durch ein inhaltlich überflüssiges Interview, das dazu dient, die dokumentarische Realität der Szene zu unterfüttern. Hier wird nicht nur Gespräch unter Freundinnen gespielt, hier wird vor allem Doku gespielt. Die dokumentarische Form des Interviews lenkt von der seifigen Konstruktion der Szene im Lokal ab und konstruiert eine neue filmische Realität, allein durch die standardisierte Form: So sieht eben Dokumentarisches aus, da können die Laiendarsteller in der Gesprächsszene noch so unglaubwürdig chargieren. In der Mischung wird das schon irgendwie ein authentisches Gefühl erzeugen und wer es glaubt wird schließlich selig.

Nach der Sendung erkundigen sich im Internet viele Zuschauer, um die E-Mail-Adresse von Trixie zu bekommen. Sie wollen ihr schreiben, wie „toll, super und bewundernswert“ sie ihr Verhalten finden: „Hallo, der Beitrag von Trixie lief die letzten drei Tage… Ich habe gestaunt was für eine Kraft diese Frau hat, sogar mein Mann hat das mit verfolgt und das soll schon was heißen. Ich würde auch gerne Kontakt mit ihr aufnehmen. LG Cindy.“

Eine Zuschauerin äußert berechtigte (und dokumentarisch wichtige) Zweifel an der Machart des Films und an der Realität des Gesehenen: „Es wurden zum Beispiel Bilder gezeigt, als sie mit IHM noch GLÜCKLICH war. Wie jetzt, hatte die die Kameras schon von Anfang an dabei???“ Eine andere Zuschauerin wiegelt diese Kritik im Ansatz ab und bringt die Debatte schnell auf den Punkt: „Eine GESCHICHTE war es allemal und ein Körnchen WAHRHEIT wird schon drin sein, gell?“ Die Frage nach Fakt oder Fake ist damit hinfällig.
Aber eigentlich sollte doch ein Blick auf den Sendungstitel genügen, um die Trixie-Geschichte auf eine Realitätsstufe mit den Fällen der Richterin Barbara Salesch und ihrer Kollegen zu stellen. Einst wurde von der Richterin im Nachmittagsprogramm folgendes verhandelt: „Ein katholischer Vikar wird beschuldigt seine heimliche Geliebte mit einem vergifteten Dildo ermordet zu haben.“ Wahnsinns-Geschichte und doch findet auch hier der eine oder die andere noch ein Körnchen Wahrheit. Im Internetforum der Trixie-Zuschauer wird wenig gezweifelt, vielmehr geglaubt, bewundert und sich identifiziert. Und nur darum geht’s: Sendungsziel erreicht.

Seit das Fernsehen erkannt hat, dass es viel einfacher und deutlich wirksamer ist, das bisschen Realität, welches die Zuschauer sehen wollen, selbst zu inszenieren, sind alle dokumentarischen Überzeugungen ins Wanken geraten. Es hat ein Hochrüsten an dramaturgischen Erwartungen und dramatischen Momenten stattgefunden. Info, Story, Emotionen! Und dann das Gleiche noch mal von vorn. Einmal mit der Redundanz und dem Laienspiel angefangen, scheint es kein Zurück mehr zu geben, denn man kann unmöglich „die ganze Story“ erzählen ohne kräftig nachzuhelfen. Und dem Verstehen muss man ebenso massiv nachhelfen wie den Emotionen. Spektakuläre Themenwahl, forcierter Darstellungsdruck und die ganze, große Geschehensflut lassen realistische dokumentarische Arbeitsweisen blass aussehen und höhlen letztlich alles Lebendige aus. Wer das Prinzip Trixie einmal verinnerlicht hat, braucht wirklich keine Dokumentarfilme mehr.

Dann Telefonsex. Trixie thront auf ihrem Bett. Wir hören nicht was sie sagt, wir erfahren natürlich nichts über ihr Huren-Handwerk. Stattdessen behauptet ein Kommentar, dass dies gar keine einfache Situation sei für Trixie, im Gegenteil, es koste sie viel Überwindung, aber es ginge schließlich nicht anders, sie müsse Geld verdienen. Trixie verabschiedet sich betont zärtlich von ihrem Kunden – „Ja, schön, es hat Dir gefallen, Du rufst wieder an, bis morgen, Tschüss.“ - und legt auf. Dann spricht sie wieder zur Kamera: Es sei schon komisch gewesen. Sie ist ja hochschwanger, aber dem Mann müsse sie Lust vortäuschen, obwohl ihr doch momentan gar nicht danach zumute ist, eher nach Nestbau und kuscheln. Und sie habe dem Mann ja auch nicht erzählt, dass sie schwanger ist. Das käme ihr ein wenig wie Betrug vor, weil der Mann ja nicht ahnt, dass Sie ihm was vorspielt. Aber es wäre auch ein tolles Gefühl, wieder einen Mann so in der Hand zu haben, ihn so manipulieren zu können. Musikeinsatz. Ausgetrixiet. Nächste Sendung.

3. Die Hure Trixie und die Medienkarriere

Zum Glück ist die Geschichte von Trixie deutlich komplexer, als es sich mittels Scripted Reality oder Reportage XXL verhandeln ließe. Es taugt zum Sittengemälde. Die Geschichte ist tatsächlich „ein Blick hinter die Kulissen der Gesellschaft“ und darüber könnte man vielleicht einen Dokumentarfilm machen.

Man braucht nicht lange zu googeln, um Trixies Weg verfolgen zu können. Gemeinsam mit dem Autoren Karl-Heinz Schmidt-Lauzemis – der für TV-Serien wie Verbotene Liebe Drehbücher geschrieben hat – ist von ihr die Biographie mit dem simmelesken Titel „Hinter den Wolken ist der Himmel blau“ erschienen. INHALTSANGABE: „Die Berliner Prostituierte Trixie Hübschmann (32) erzählt ihr Leben von der Kindheit in der DDR, einer misslungenen Ausbildung, ihren Ausreißversuchen von Zuhause, ihren ersten sexuellen Abenteuern und ihrem Weg durch verschiedene Stationen der Prostitution und schließlich ihren Versuchen des Ausstiegs und einer zukünftigen Karriere in den Medien.“

Und genau diese „Karriere in den Medien“ bzw. die Anfänge oder das Ende davon, sind gerade zu sehen. Trixie ist ihr eigener Reality-Star. Man kennt noch diese Anzeigen: „Schreiben sie ihre Schicksalsgeschichte auf und werden sie Buchautor…“ Das hat Trixie längst hinter sich gelassen. Was wirklich zählt ist der mediale Rundumschlag, das Aufgehen im Medienverbund. Trixie ist mit ihrem Buch bei Pro 7 durch die einschlägigen Formate gewandert. Vor Jahren war sie Content bei „Liebe Sünde“. Dann konnte man Trixie bei „taff“ erleben. Dort hat sie sich für größere Aufgabe qualifiziert, nämlich für „We are Family!“: Sendung vom 18.12.2007 - „Die Hure Trixie – schwanger und sitzengelassen.“ Ein Real-Life-Format bei dem Pro7 wie gewohnt nichts dem Zufall überlässt. Diese Sendung ist die konsequente Fortsetzung der Krawalltalkshows mit dokumentarischen Mitteln: Undercover Fiction, Authentizitäts-Porno, You-name-it. Von hier aus geht Trixie in Serie und spielt ihr Leben nach trivialen Mustern nach und weiter: Trixie versucht Geld für eine Brust-OP zu bekommen, lernt auf einer Striptease-Party den Restaurantbesitzer Ahmed Ben Amor kennen. Für beide ist es Liebe auf den ersten Blick. Sie wird schwanger, wird verlassen, wird schließlich umformatiert und landet beim Schwestersender N24 als Reportage XXL. Sie bekommt bewundernde Fanpost, im Internet wird über sie diskutiert, sie veröffentlicht nach einer ersten Verlagspleite ihr Buch im Eigenverlag und versucht mehr und mehr aus sich und Ihrer Geschichte zu machen. Es ist ein Geben und Nehmen: Ihr filmt mich, wie ich mein Leben ausbeute, dafür werde ich bezahlt, werde bekannt und aus meiner Schwangerschaft machen wir auch noch eine tolle Geschichte… Eine Selfmade-Frau mit dem Traum vom Berühmtsein. Irgendwie, irgendwo, irgendwas mit Medien. Fortsetzung folgt.

2 Comments

  1. Markus wrote:

    Großartiger Beitrag, aus dem viel Wahres spricht.

    Samstag, März 14, 2009 at 15:02 | Permalink
  2. Franzi wrote:

    Ich kann nur zustimmen. Danke für diesen Beitrag und die Steilvorlage zu meiner Magisterarbeit.

    Samstag, Juli 4, 2009 at 19:54 | Permalink

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