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Häuser für alle - Interview Post2PDF

Gereon Wetzel über seinen Dokumentarfilm zur spanischen Immobilienkris von Franziska von Malsen

Neu gebaute Ferienanlagen, die noch nie einen Urlauber gesehen haben, halbfertige Häuser, die langsam verfallen. Neue Straßen, die ins Brachland zu nie begonnenen Bauvorhaben führen… In seinem Dokumentarfilm Casas para todos (Häuser für alle) lässt der Münchner Filmemacher Gereon Wetzel das gigantische Ausmaß der spanischen Immobilienkrise sichtbar werden. 3,6 Millionen Wohneinheiten stehen in Spanien leer. Wetzels lange, kommentarlose Einstellungen erzählen auch von der Rückeroberung dieser Geisterstädte: Ein Schäfer lässt seine Herde auf den von Pflanzen überwucherten Baugebieten weiden. Auf einer sechsspurigen Ausfallstraße, die ins Nirgendwo führt, übt eine Busfahrschule spritsparendes Fahren. Und Immigranten besiedeln die Skelette nie fertig gestellter Hochhausbauten.

FM: Sie arbeiten mit langen kommentarlosen Einstellungen und erzählen fast ausschließlich visuell. Einzige Ausnahme sind einige Zitate spanischer Politiker und Bauunternehmer, die Sie als Titeltafeln einblenden. Sie erklären nichts in ihrem Film, suchen keine Gründe für die Krise, keinen Schuldigen und nennen keine Zahlen. Was versteht der Zuschauer besser über die Finanzkrise, wenn er Ihren Film sieht?

Wetzel: Ich glaube, der Film ergänzt die Auseinandersetzung mit der Krise auf eine Art, wie Sie es in der journalistischen Berichterstattung nicht finden. Die Unschärfe des Films im Bezug auf wirtschaftliche Fakten oder die geografischen Standorte der Bauprojekte ist kein Versehen, sondern bewusst gewählt. Mir geht es um ein universelles Bild für gesellschaftliches und menschliches Versagen. Um Habgier, Statussucht, Verführung, Realitätsverlust. Diese Dinge sind Teil von dem, was wir Spekulation nennen.

FM: Deshalb auch die Werbefilme der Bauunternehmen, mit denen Sie Ihre Aufnahmen der offen gelassenen Siedlungen an einigen Stellen unterschneiden?

Wetzel: Diese farbenfrohe Werbeästhetik, die ein “besseres Leben” verspricht - natürlich bekommt das eine absurde Komik, wenn man es gegenschneidet mit leer stehenden Häusern bis zum Horizont, verwaisten Spielplätzen und vertrockneten Golfanlagen. Aber es hat auch etwas Tragisches. Dass die Menschen dieser Idee vom schnellen Geld und eigentlich dem schlimmsten Tourismus, den man sich vorstellen kann, so verfallen sind. Und in diesem Wahn immer weitergemacht und nichts mehr mitbekommen haben.

FM: Liefern Sie damit nicht Argumente für Zuschauer, die dann sagen werden: “Schau Dir diese maßlosen Spanier an! Wie konnten die nur? Sollen die doch selbst sehen, wie sie ihre Misere jetzt lösen!”

Wetzel: Die Deutschen haben das ja mitfinanziert! Ohne die Unmengen billigen deutschen Geldes wäre das nie gebaut worden. Die Zusammenhänge sind kom-plex. Letztlich hätte auch die EU ein Auge darauf haben müssen - was jetzt auch geplant ist. Natürlich wird der Film Munition für solche Kommentare liefern. Aber er ist als universelle Geschichte angelegt und behauptet gerade nicht, das sei ein spanisches Problem.

FM: Herr Wetzel, auch Ihren letzten Film haben Sie in Spanien gedreht: El Bulli - Cooking in Progress porträtiert den weltberühmten Sternekoch Ferran Adrià. Warum jetzt das freudlose und trockene Thema Finanzkrise?

Gereon Wetzel: Ich finde nicht, dass die Finanzkrise ein trockenes Thema ist. Sie erscheint visuell im ersten Moment nicht so aufregend wie die Molekularküche von Adrià. Aber als Thema drängt sie sich auf, gerade in Spanien. Wenn man durch das Land fährt, stößt man überall auf diese leerstehenden Siedlungen. Wir haben versucht, die Immobilien- und letztlich die Finanzkrise in Bilder zu fassen. Die Ruinen sind ein Bild, das viel unmittelbarer wirkt als die Zahlen, die Sie dazu in der Zeitung lesen. Die Häuser, die da in der Landschaft stehen, haben Unmengen an menschlichen, finanziellen und natürlichen Ressourcen verbrannt.

FM: Warum ist der Film für ein deutsches Publikum relevant?

Wetzel: Weil das Thema universell ist. Weil es uns alle betrifft. Und ich meine das nicht nur, weil Spanien - getrieben von den faulen Immobilienkrediten - unter den Europäischen Rettungsschirm geschlüpft ist. Der Film ist nicht als eine rein spanische Geschichte gedacht. In Irland und China passiert Ähnliches und ich glaube, dass es auch in München eine Spekulationsblase gibt. Und auf dem Land in Deutschland verrotten auch Häuser.

FM: Aber ist ein solcher Film dann nicht ein problematischer Beitrag an ein Publikum, das die Zusammenhänge eben noch nicht verstanden hat?

Wetzel: Aber was wissen die Leuten denn, wenn Sie es ihnen erklären? Und was und wie erklären Sie es denn? Vielleicht - das hoffe ich - stoßen die Bilder meines Films einen universelleren Denkansatz an, als es ein Artikel aus dem Wirtschaftsteil der Tageszeitung vermag. Oder nehmen wir den Wagenhofer-Film Let’s Make Money als Gegenbeispiel zu meinem. Darin kommt auch die spanische Immobilienkrise vor. Der Film ist mit Kommentar und mit Interviews und man versteht trotzdem nichts. Und da kann genauso der Eindruck entstehen: Gott, sind die alle bescheuert, da unten. Man wird nie ein klares Bild zeichnen können, von dem, was da passiert ist. Auch im Journalismus nicht. Daran glaube ich einfach nicht. Weil der Zuschauer oder Leser es sich in seinem Kopf ohnehin völlig anders und neu und mit seinen Ressentiments zusammensetzt. Deshalb finde ich die offene Form, mit der man die Eigeninitiative des Zuschauers fordert, viel besser. Ohne die funktioniert es eh nicht.

FM: Im Presseheft zum Film beziehen Sie sich in Ihrer Arbeitsweise auf den Quantenphysiker Hans-Peter Dürr. Was haben die Überlegungen eines Quanten-physikers mit Dokumentarfilm zu tun?

Wetzel: Dürr sagt, wir verlangen bei unserer Wahrheitsfindung, dass sie zu eindeutigen Feststellungen führt. In diesem Wunsch übersehen wir, dass die Struktur unserer Wirklichkeit so komplex ist, dass Eindeutigkeit, Exaktheit und Schärfe nur durch Isolation des herausgegriffenen Sachverhalts erreicht werden können. Relevanz und Bedeutsamkeit werden aber erst sichtbar, wenn ich meinen Blick nicht auf ein Detail konzentriere, sondern ihn weite. Und das ganze Bedeutungs- oder Assoziationsfeld des Sachverhalts in meine Betrachtung einbeziehe. Und dieser Einsicht, sagt Dürr, entspricht eher eine poetische Betrachtung. Das ist es, was ich mit meinem Film versuche: eine poetische Betrachtung, die trotz oder gerade wegen ihrer Unschärfe Zusammenhänge erkennbar werden lässt.

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