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Ein Kunststück Post2PDF

von Manfred Riepe

Interessante Geschichten werden im Dokumentarfilm häufig erzählt. Der Eindruck, dass die Beobachtungen auch im wahren Sinn des Wortes „sehenswert“ sind, entsteht dabei eher selten. In ihrem grandiosen Verlegerporträt gelingt Jörg Adolph und Gereon Wetzel dieses Kunststück. „How to Make a Book with Steidl“ ist ein Film, der den Zuschauer schon nach wenigen Momenten durch seine Bilder gefangen nimmt.
Dabei ist das Thema offenbar recht unscheinbar. Im Stil des Direct Cinema, also ohne Off-Kommentar und ohne Interviews mit dem Protagonisten, blicken die beiden Dokumentaristen einem Göttinger Buchdrucker bei der Arbeit über die Schulter. Doch Gerhard Steidl, um den es hier geht, ist nicht irgendein Hersteller von Druckerzeugnissen. Seit 40 Jahren publiziert der Verleger, der am 22. November seinen 60. Geburtstag feiert, dem man sein Alter aber nicht ansieht, qualitative hochwertige und aufwändig hergestellte Bücher, viele davon im Kunstsektor. In der Zeit des Internets und des Eletronic Publishing hat Steidl sich den Ruf als exklusiver Kunsthandwerker erhalten.
Kunst ist bekanntlich schön und macht viel Arbeit. Während das wirtschaftliche Fundament seines Verlags unter anderem durch die Exklusivrechte an Büchern von Günter Grass abgesichert ist, jettet Gerhard Steidl buchstäblich durch die Welt. Mit namhaften Künstlern wie Robert Frank, Ed Ruscha, Robert Adams und Jeff Wall bespricht er technische Details über die Herstellung von Fotobänden – von deren Verkauf allein er gewiss nicht leben könnte.
Für den Film ist die Vorliebe des Verlegers für hochwertige Bildbände von Künstlern, die auf der ganzen Welt verstreut leben, ein Glücksfall. Während Steidl in New York und Los Angeles zu Gast bei Freunden ist, gelingen Adolph und Wetzel faszinierende Bilder von Landschaften, urbanen Situationen, Künstlern und deren Lebensentwürfen. Ein reich gewordener Beduine residiert in der Wüste von Katar in einem Luxuswohnwagen. Die Kamera wechselt von der Innenansicht nach draußen, wo sich in der nächtlichen Wüste das Knattern des Stromaggregats mit dem Blöken der Kamele mischt, die unter Decken kauern.
Zusammengehalten wird das schillernde Mosaik der Bilder durch Steidl selbst, der wie ein Maschinengewehr spricht und als nimmermüder Workalholic mehrere Termine täglich absolviert. Da er unter anderem für die Haute Couture tätig ist, macht der Film auch einen Abstecher nach Paris. Hier parliert der Göttinger Buchdrucker nebenbei mit Karl Lagerfeld, für den er von der Eintrittskarte bis zum Katalog alles druckt.
Sehenswert arbeitet der eineinhalbstündige Film heraus, dass Steidl ein akribischer Kunsthandwerker ist, der seine Profession mit kaum beschreibbarer Leidenschaft beherrscht. Dank dieser Passion erscheint fast alles, was er macht, irgendwie interessant. Man schaut gerne zu, selbst wenn er sich nur die Brusttasche seines weißen Kittels mit ausgelaufener Kugelschreiberflüssigkeit befleckt. Die Grenze zwischen Handwerk und kreativem Prozess wird dabei fließend. Das ungewöhnliche Wechselspiel zwischen Geben und Nehmen zeigt der Film exemplarisch am Beispiel eines amerikanischen Künstlers. Der Fotograf Joel Sternfeld konzipiert einen Bildband, mit dem er die visuelle Konsumierbarkeit der Welt kritisieren will, wie sie durch jene Form der Instant-Fotografie durch das iPhone ermöglicht wird. Damit die Gestaltung seines Buchs diese Botschaft aufgreift, müssen Sternfeld und Steidl einen intensiven ästhetisch-technischen Austausch pflegen, dessen Details der Zuschauer des Films von Anfang bis Ende mitverfolgt. Das fertige Buch ist schließlich ein Produkt, in das Steidls kreative Handwerklichkeit maßgeblich eingeflossen ist.
Über diese Schnittstelle zwischen Kreativität und Buchproduktion hat Jörg Adolph schon einmal einen Film realisiert. Nach „Houwelandt – Ein Roman entsteht“ (vgl. FK 38/05) über den Autor John von Düffel gelingt ihm nun zusammen mit Gereon Wetzel, bekannt durch „Castells, lebende Türme“ (vgl. FK 30/07), das Porträt der katalanischen Turmbauer, ein faszinierend lebendiges Werk. „How to Make a Book with Steidl“ ist ein Film, den man eigentlich auf der großen Leinwand sehen müsste. Wenn der agile schwarzhaarige Mann zunächst mit der Schieblehre die Dicke eines Papierstoßes misst und kurz darauf mit dem Taxi durch New York fährt, dann erreicht der Film nicht nur hier Kinoformat. Einige der Bilder zwischen Flughafen, Hotel und Hochbahn sind elektronisch bearbeitet, doch diese dezente Verfremdung drängt sich nicht in den Vordergrund.
Überzeugend ist auch die Montage, die hektische, geschäftige Sequenzen auf ruhige, kontemplative Momente folgen lässt, etwa wenn Günter Grass eigenhändig den Bucheinband für die Jubiläumsausgabe „50 Jahre Blechtrommel“ gestaltet. Der Film hätte noch Stunden so weitergehen können.

veröffentlicht in FK 45/2010

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